Autor: Timo Köring I Ruhr-Universität Bochum I Lehrstuhl für Digital Engineering (LDE)
Der Digitale Produktpass dient als ein Konzept zur Sammlung und Nutzung von produktbezogenen Informationen über seinen gesamten Lebenszyklus. Eine Form der Umsetzung des Digitalen Zwillings und eine mögliche Form des Digitalen Produktpasses ist die sogenannte Verwaltungsschale [1]. Digitale Produktpässe, die wie Digitale Zwillinge durch die Verwaltungsschale abgebildet sind, können nicht nur zur Erfüllung regulatorischer Anforderungen auf EU-Ebene dienen, sondern auch als Enabler für unternehmerische Business Cases von Nutzen sein.
Durch die zunehmende Bedeutung von Nachhaltigkeit gewinnen Konzepte der Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz immer mehr an Bedeutung. Dabei kommt dem Informationsmanagement durch das Bereitstellen, die Speicherung und den Austausch von Daten eine entscheidende Schüsselrolle zu. Der Digitale Produktpass (DPP) setzt an dieser Stelle an – er sammelt und stellt wichtige Informationen über Produkte von der Herstellung bis zur Entsorgung und dem Recycling bereit. Die Informationen sind nicht nur für die Erzeuger- oder Recyclingunternehmen wichtig, sondern dienen auch als Informationsquellen für (End-)Kunden [2]. Die schrittweise verpflichtende Einführung des DPP in der europäischen Union ab 2026 führt zu neuen Herausforderungen für Unternehmen. Wie können die notwendigen Daten effizient erfasst, verwaltet und genutzt werden? Wie kann aus den gesetzlichen Anforderungen zur Kreislaufwirtschaft ein Nutzen für die eigene Wertschöpfung gewonnen werden? Hier kommt der Digitale Zwilling als Ausprägung durch die Verwaltungsschale ins Spiel.
Eine große Herausforderung im Bereich der Kreislaufwirtschaft ist es, die Informationen über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts zu erfassen, zu aktualisieren und allen relevanten Akteuren zugänglich zu machen. Die Datensammlung ist dabei aber nicht auf das eigene Unternehmen beschränkt, sondern beginnt vorgelagert bereits bei den Zulieferern und reicht nachgelagert über die Endkunden hinaus. Neben der Datensammlung ist aber auch vor allem das Bereitstellen und der Austausch von (umweltrelevanten) Daten eine Herausforderung, die durch den DPP adressiert wird. Dabei kann der DPP ein wichtiges Instrument zur Unterstützung aller R-Strategien und des gesamten Produktlebenszyklus sein, wobei keine Fokussierung auf eine bestimmte Strategie bzw. Phase liegt.
Der DPP kann kurzgefasst als ein Konzept zur Sammlung und zum Austausch von produktbezogenen Informationen zu Hersteller, Material, Eigenschaften, Reparatur und Entsorgung verstanden werden. Er enthält Informationen über die Bestandteile eines Produkts und ihre Herkunft, sollte aber auch Informationen für die Bewertung der ökologischen und sozialen Auswirkungen in den Phasen der Herstellung, Verwendung und Verarbeitung eines Produkts enthalten [3]. Dies erfordert eine standardisierte, interoperable und sichere Methode zur Datenverwaltung. Nur so kann erreicht werden, dass die Produkttransparenz erhöht und die Lebensdauer von Produkten und deren Rohstoffen verlängert werden. Durch den DPP sollen wertvolle Rohstoffe effizienter wiedergewonnen werden, was die Kreislaufwirtschaft unterstützt und einen Beitrag zum Umweltschutz leistet. Eine Umsetzungsvariante für den Digitalen Produktpass ist die Verwaltungsschale, die auch für Digitale Zwillinge verwendet wird.
Der Digitale Zwilling, insbesondere in Form der Verwaltungsschale (Asset Administration Shell, kurz AAS), bietet eine Lösung für die Herausforderung der standardisierten, interoperablen und sicheren Methode zur Datenverwaltung [4]. Die AAS ist ein Konzept, dass die Informationen zu einem Asset (äquivalent zu einem Produkt) gebündelt und nach verschiedenen Bereichen (Submodelle genannt) sammelt bzw. abbildet (vgl. Abbildung 1) [5]. Diese Submodelle können in einer beliebigen Anzahl unabhängig voneinander mit Merkmalen und Informationen aus verschiedenen Domänen und Datenquellen (wie Hersteller oder Informationssysteme) gepflegt werden. Dabei wird eine Versionierung unterstützt. Die AAS ist ein standardisiertes digitales Modell, das als semantische Repräsentation eines physischen oder digitalen Assets bzw. Produktes dient. Durch die Integration von Typ und Instanz kann aus einer generellen Spezifikation eines Produkts (Typ) mit wenig Aufwand eine Spezifikation für ein individuelles, physisches Exemplar (Instanz) erzeugt werden. Die Implementierung des Digitalen Zwillings und der Verwaltungsschale wird durch Initiativen wie die Industrial Digital Twin Association (IDTA) – einem Zusammenschluss aus Forschung und Wirtschaft – vorangetrieben [6]. Diese zielen darauf ab, die Technologie auch für kleine und mittlere Unternehmen zugänglich zu machen.
Die Ausprägung des DPP als AAS bietet Potential für die Circular Economy, insbesondere durch die verschiedenen Submodelle, die von der IDTA entwickelt und standardisiert werden. Dabei ist der Bezug der AAS zum DPP und den damit zu sammeln und bereitzustellenden Daten bereits durch einige veröffentliche Submodelle deutlich. Neben allgemeinen Submodellen wie Nameplate oder Technical Data, werden erste Submodelle mit Bezug zur Circular Economy, wie Carbon Footprint oder Time Series Data (Zeitreihendaten, um z. B. den Energieverbrauch zum Zeitpunkt der Produktion zu bestimmen) standardisiert veröffentlicht, die anschließend zur Umsetzung der ESPR genutzt werden können. Die Submodelle ermöglichen neben den regulatorischen notwendigen Daten für den DPP auch weitere Daten zum Produkt zu speichern und verwalten und so die Datenweitergabe oder eine kontinuierliche Verbesserung zu vereinfachen. Dies bietet Unterstützung für weitere Business Cases, sodass die AAS als Enabler für eine Vielzahl von Möglichkeiten und Wertschöpfungspotentialen dienen kann. Die Anzahl von über 93 Submodelle verdeutlicht diese Flexibilität und Erweiterbarkeit. Neben den standardisierten Submodellen ist aber auch die Erstellung eigener Submodelle möglich.
Abbildung 1: Aufbau der Verwaltungsschale
Im Kontext des Digitalen Produktpasses kann die Verwaltungsschale zusammenfassend folgende Beiträge leisten:
Der Digitale Zwilling als Verwaltungsschale bildet eine technologische Grundlage für die Umsetzung des Digitalen Produktpasses. Die Verwaltungsschale ermöglicht eine effiziente, standardisierte und flexible Verwaltung von Produktdaten über den gesamten Lebenszyklus hinweg, die über die Erfüllung von regulatorischen Anforderungen hinausgeht. Sie fördert vielmehr die systematische Kreislaufwirtschaft und bietet Potential zur Verbesserung eigener Wertschöpfungsprozesse.
Quellen
[2] Bundesumweltministerium: Lückenloser Lebenslauf, 2025. https://www.bmuv.de/umweltpolitische-digitalagenda/auf-einen-klick, abgerufen am: 14.01.2025
[6] IDTA: IDTA – Der Standard für den Digitalen Zwilling – Startseite, 2025. https://industrialdigitaltwin.org/, abgerufen am: 14.01.2025